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„Glaube unter Feuer?“ – Militärseelsorge im Spannungsfeld von Einsatz, Ethik und Hoffnung

Wie begegnet die Kirche Soldatinnen und Soldaten, die in existenzielle Grenzsituationen geraten? Welche Rolle spielt der Glaube in einer pluralen, säkularisierten Armee – und was kann christliche Hoffnung bedeuten, wenn das Leben im Ernstfall auf dem Spiel steht? Diesen Fragen widmete sich der gut besuchte Kaminabend der Diözesangruppe Bonn des Bundes Katholischer Unternehmer (BKU) am 24. Juli 2025 im Hause des Vorsitzenden der Diözesangruppe Bonn Dr. Rüdiger von Stengel und seiner Frau Nataly in Bonn Bad Godesberg. Als Referent begrüßte Rüdiger von Stengel Militärdekan Heinrich-Peter Treier einen ausgewiesenen Kenner der Katholischen Militärseelsorge, der aus eigenem Erleben, theologischer Reflexion und seelsorglicher Erfahrung heraus Einblick in ein wenig bekanntes, zugleich aber hochaktuelles kirchliches Handlungsfeld gab.

Treier, seit 2009 in der Militärseelsorge tätig und seit 2014 auf der Hardthöhe in Bonn tätig, spannte in seinem Vortrag einen weiten Bogen: von Erfahrungen in mehrfachen persönlichen Auslandseinsätzen in Mali oder Afghanistan bis zur ethischen Gewissensbildung in Kasernen des Inlandes, von der Notfallseelsorge und dem liturgischen Gemeindedienst bis zur Frage, wie Kirche im Berufsleben präsent bleibt – gerade dort, wo Menschen Entscheidungen unter hohem und auch existentiellen Druck treffen müssen.

Militärseelsorge – eine eigenständige Berufspastoral

Ein zentrales Anliegen Treiers war es, den spezifischen Charakter der Militärseelsorge sichtbar zu machen. Sie sei – neben der Polizeiseelsorge – die einzige klar definierte Berufspastoral der katholischen Kirche. Anders als in einer Territorialpfarrei ist ihr Handlungsfeld nicht ortsgebunden, sondern an die Struktur und Dynamik der Bundeswehr gekoppelt – und dabei doppelt verankert: einerseits kirchenrechtlich im Militärbischofsamt unter Leitung des Militärbischofs, andererseits organisational in die Bundeswehr integriert. Die Seelsorgerinnen und Seelsorger stehen unter der personalrechtlichen Verantwortung des Militärbischofs, aber auch unter der disziplinarischen Aufsicht des jeweiligen Diözesanbischofs – was eine enge Abstimmung zwischen staatlicher Struktur und kirchlicher Sendung erfordert.

Vier Säulen – vier Perspektiven kirchlicher Präsenz

Treier erläuterte die vier tragenden Säulen der Militärseelsorge:

  1. Lebenskundlicher Unterricht:
    Als Teil des offiziellen Bildungsangebots der Bundeswehr vermittelt dieser Unterricht keine Glaubensinhalte, sondern richtet sich an alle Soldatinnen und Soldaten unabhängig von Konfession oder Weltanschauung. Ziel ist es, Persönlichkeitsentwicklung, ethische Urteilskraft und Gewissensbildung zu fördern. Besonders in krisenhaften Einsatzsituationen sei es entscheidend, ob jemand gelernt habe, „unter Druck zu unterscheiden, was gut und richtig ist – und was nicht“.
  2. Notfall- und Krisenseelsorge:
    Hier begegnet die Militärseelsorge den Menschen mit menschlicher Nähe und Begleitung – auch über konfessionelle Grenzen hinweg. Die Seelsorger sind dabei nicht nur Gesprächspartner, sondern Teil eines Netzwerks mit Psychologen, Sanitätsdiensten und Kommandostrukturen. Wie bei Ärzten besteht auch für sie eine Bereitschaftspflicht, insbesondere bei akuten Krisen- und Trauerfällen. Es geht nicht selten um das Aushalten von Sprachlosigkeit, um Trost, um Erinnerungsarbeit – auch für gefallene Kameradinnen und Kameraden.
  3. Sakramentenpastoral und Liturgie:
    Gerade in Auslandseinsätzen sei eine starke Nachfrage nach kirchlichen Angeboten spürbar, so Treier. Die Kirchenräume in den Feldlagern und Operation Points seien „voll wie sonst nur an Weihnachten“. In Krisenlagen stelle sich bei vielen Soldatinnen und Soldaten wieder die Frage nach Gott, nach Schuld und Versöhnung, nach Leben und Tod – oftmals erst, wenn der Ausnahmezustand bereits Realität ist. Gedenkorte und Gottesdienste werden dabei als Räume tiefer Symbolik und spiritueller Vergewisserung oder auch schlicht als Fluchtpunkte einer freundlichen und verbindlichen Lebenspraxis erfahren.
  4. Gemeinschaft und Beteiligung:
    Die Militärseelsorge kennt – anders als manche vermuten – auch Strukturen kirchlichen Lebens mit Beteiligung von Laien: Standortpfarrgemeinderäte, die „Gemeinschaft Katholischer Soldaten“ als eigenständige Laienorganisation, ein Katholikenrat zur Beratung des Militärbischofs sowie die Entsendung von Delegierten in das Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Diese Formen zeigen, dass Kirche in der Bundeswehr kein „Anhängsel“ ist, sondern aktives Glaubensleben ermöglicht.

Wertschätzung aus der Truppe – und klare Worte an die Kirche

Ein besonderer Moment des Abends war die Wortmeldung eines anwesenden Brigadegenerals, der – wie weitere aktive Soldaten – den Seelsorgedienst ausdrücklich würdigte. Auch außerhalb klassischer kirchlicher Angebote fänden Seelsorger oft Zugang zur Truppe, weil sie „Stallgeruch“ angenommen hätten und mit glaubwürdiger Präsenz überzeugten – nicht durch Mission „von außen und top-down“, sondern durch Dasein „von innen und bottom-up“.

In seinem Schlusswort sprach Heinrich-Peter Treier eindringlich über die Zukunft der kategorialen Seelsorge. Angesichts sinkender Priesterzahlen dürfe sich die Kirche nicht aus Berufsfeldern wie der Bundeswehr zurückziehen, sondern müsse sich mit neuem Mut bekennen: „Wir müssen Militärseelsorge verteidigen – und darum kämpfen. Denn sie ist ein sichtbares Zeichen dafür, dass Kirche Menschen dort begleitet, wo es ernst wird.“ Es brauche gezielte Auswahl, passende Ausbildung und eine Spiritualität der Nähe – und nicht zuletzt das Bewusstsein, dass es auch für diese besondere Form des kirchlichen Dienstes eine spezifische Berufung und dann auch Kompetenzbildung gebe.

Ein Abend voller Nachdenklichkeit und Hoffnung

Der Kaminabend selbst hatte den Charakter eines offenen Gesprächs, bei dem viele Gäste – Unternehmer, Soldaten, Theologinnen, Ehrenamtliche – Fragen stellten oder durch eigen Beobachtungen zum Gespräch beitrugen. Was bleibt, ist der Eindruck eines sehr lebendigen Dienstes der Kirche – an einem Ort, an dem viele sie vielleicht nicht vermuten. Und zugleich das Bild eines Seelsorgers, der Brücken schlägt zwischen Kirche und Bundeswehr, zwischen Gewissen und Befehl. Es bleibt das Bild eines Seelsorgers, der als Mensch unter Menschen versucht, Nähe und Hoffnung zu schenken, wenn der das Leben und der Glaube unter Feuer stehen.

Hans-Jürgen Dörrich, Bonn