Ostergruß
Die Bergpredigt aus der Sicht eines Ökonomen
Ich möchte mit zwei kurzen Vorbemerkungen beginnen.
Erste Vorbemerkung: Jesu Wirken und Aussageabsicht sind religiös geprägt, nicht ökonomisch. Der fokussierte ökonomische Blick auf die Bergpredigt kann daher nur einen Teilaspekt beleuchten. Diesen Teilaspekt gibt es aber sehr wohl, denn Jesus verweist in seinem Wirken immer wieder auf ökonomische Zusammenhänge, so etwa im Gleichnis von den Talenten. Manchmal bedient er sich dabei der Methode der paradoxen Intervention, etwa im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg. Die ökonomische Seite des Lebens ist ihm also nicht unbekannt. Tatsächlich handelt er immer wieder so, wie es auch in ökonomischen Zusammenhängen vorkommt.
Zweite Vorbemerkung: In unserer Gesellschaft haben wir uns daran gewöhnt, beim Ökonomischen immer auch das Monetäre, die in Form von Geld bewertete Leistung, mit zu denken. Das ist aber nur ein Teil der ökonomischen Wirklichkeit. Denn Wirtschaften bezieht sich auf zweckbestimmtes rationales Handeln unter Bedingungen von Knappheit. Wir setzen Zeit, Geld und/oder Energie ein. Wer einen Apfel aus dem eigenen Garten erntet, handelt wirtschaftlich. Wer Mittagessen für die Familie kocht, übt ebenfalls eine zumindest auch wirtschaftliche Tätigkeit aus. Noch vor gut 100 Jahren war die Mischung aus bäuerlicher Subsistenzwirtschaft und monetär bewerteter Ökonomie in weiten Teilen der Bevölkerung üblich. Die bäuerliche Erzeugung galt dem Eigenbedarf. Denn nur die „Überschussproduktion“ wurde auf den Markt gebracht und verkauft!
Tatsächlich ist die Geschichte der Ökonomie die eines immer stärkeren Übergangs von der Subsistenzwirtschaft in eine monetär bewertete Wirtschaft. Wenn wir uns in die Zeit Jesu versetzen, ist es sinnvoll, diesen Sachverhalt in der landwirtschaftlich geprägten Welt des Judentums zur Zeit Christi in Erinnerung zu rufen.
Und dennoch finden wir in der Bergpredigt eine Reihe von Elementen, die wir in moderner wirtschaftlicher Sprache betrachten können, vom Recruiting zum Talentmanagement, von der Zielgruppenorientierung zum Leistungsversprechen im Marketing, von der Renditeerwartung zur Aufmerksamkeitsökonomie, vom Arbeiten am Purpose und am Gemeinwohlbeitrag bis hin zur Markenbildung und zum Aufbau von Fans und Followern.
Ich werde diese Themen und Sachverhalte in acht konkreten Punkten beleuchten.
1. Ich beginne mit der Vorgeschichte der Bergpredigt und dem Anfang des öffentlichen Wirkens Jesu. Wie in jedem Start-up-Unternehmen stellt der Gründer Jesus bald fest, dass er seine Ziele nicht ganz alleine erreichen kann. Und er sucht Mitarbeitende. Das geht nicht über Stellenanzeigen, sondern über die Kaltakquise. Zeitungen gab es damals ja nicht. Die Kaltakquise für ein letztlich unsichtbares Produkt ist allerdings nicht ganz einfach. Wie soll er vorgehen? Was kann er vorweisen? Er steht ja erst am Anfang!
Er löst die Aufgabe der Mitarbeitergewinnung oder des Recruiting auf charakteristische Art und Weise. Im Vers Mt 4,10 sagt er zu den beiden Fischern Andreas und Simon „Ich will Euch zu Menschenfischern machen!“
Das ist nun „Recruiting“ oder eben „Talentmanagement“ vom Feinsten. Er geht von der Lebenswirklichkeit der Fischer aus und baut einen neuen, anderen, ganz großen Bezugsrahmen. Er verändert ihr „Framing“ und macht aus Fischern eben „Menschenfischer“. Dabei deutet er die bisherige Realität in einer großen, ja fast größenwahnsinnigen Art und Weise um: Aus Fischern, die Fische fangen, werden Menschenfischer, die Menschen gewinnen! „Think Big“ ist, so gesehen, keine amerikanische, sondern eine biblische Erfindung!
2. Jesus zeigt also von Anfang an ein beträchtliches Maß an Soft Skills. Er verbindet dies sehr schnell mit einem USP, einer Unique Selling Proposition, einem einzigartigen Angebot, so wie es in der Bergpredigt ausformuliert wird. – Dabei hat er nicht Profis im Blick wie im sogenannten B2B-Geschäft, also dem Geschäft „Business to Business“. Vielmehr richtet er sich an „alle“.
Im Vers Mt 5,1 heißt es: „Da er aber die Scharen des Volkes sah, ging er auf den Berg hinauf… tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach…“.- : Hier geht es um die Zielgruppe des ganzen Volkes. Er richtet sich zwar auch an die Jünger als die „Profis“ oder die „Heavy User“, wie es heute in der Marketingsprache heißt. Aber im Grunde geht er über ein Multiplikatoren-System auf das „ganze Volk“ ein. Dem entspricht heute ein „B2C“ (Business-to-Consumer) -Ansatz.
Seine Rede geht über eine reine Expertenansprache hinaus und richtet sich an die „Allgemeinheit“. Hier begegnen wir dem „Think Big“ zum zweiten Mal, also einem Universalitätsanspruch, der natürlich kein Zufall ist!
3. Nun folgen die Seligpreisungen. In wirtschaftlicher Sprache sind diese in der Form eines Leistungsversprechens aufgebaut. Sie präzisieren in den einzelnen Heilszusagen eine ganz konkrete Zielgruppe und sind in der Sprache des Zielgruppenmarketings verfasst.
Der Vorteil daran ist, dass die unverbindliche Allgemeinheit eben doch zu einer verbindlichen Form gelangt, die eine persönlichere Ansprache ermöglicht. Schließlich trauern die „Trauernden“, nicht „alle Menschen“ zu jeder Zeit. Und es wirken auch nicht alle Menschen als Friedensstifter oder werden um der Gerechtigkeit willen verfolgt, sondern eben nur diejenigen, die in genau dieser Situation leben. – Die personalisierte Ansprache führt zu einer persönlichen Wirkung bei den Angesprochenen. Denn genau sie spricht er an, in einer sehr inklusiven Sprache. Denn die Vielzahl der Seligpreisungen bedeutet ja eben auch, dass verschiedene Zielgruppen mit unterschiedlichen Verheißungen oder eben: Formen des Leistungsversprechens angesprochen werden.
4. Was aber verspricht Jesus? Worin liegt konkret sein Leistungsversprechen, gerade wenn er doch die Zielgruppe der „Armen“ in den Vordergrund stellt, denen mit abstrakten Diskursen wenig geholfen ist. – Nun gibt es ganz generell Im Wirtschaftsleben sehr unterschiedliche Produkte und Dienstleistungen. Nicht alle eignen sich für eine direkte Renditeerwartung. Denn normalerweise kann es eine Renditeerwartung nur im Finanzbereich geben, etwa bei einer Geldanlage oder einer Aktie, nach dem Motto: Das ist mein Investment, das ist meine Rendite. – Interessant ist hier, dass der von Jesus beschriebene Einsatz gerade nicht monetärer Art ist, sondern die Person als Ganze betrifft. So gilt im Vers Mt 5,12 der „Lohn im Himmel“ besonders denen, die eine besonders starke Identifikation und Resilienz zeigen, weil sie Verfolgungen und üble Nachrede freudig, ja sogar „jubelnd“ erdulden. Was er damit in den Raum stellt, heißt: „Es lohnt sich, wenn Ihr Euch tief auf mich einlässt“.
5. Jesus sucht also nicht einfach „Zustimmung“, sondern Engagement oder „Commitment“. – In der heutigen digitalen Welt gibt es ja auch „Follower“, also Menschen, die von den Äußerungen anderer in den Social Media erfahren und an ihrem Wirken Anteil haben möchten. Speziell Fußballer und Sängerinnen haben bisweilen mehrere hundert Millionen interessierte Menschen, die ihnen folgen, eben „Follower“.
Die ökonomische Besonderheit der Bergpredigt liegt hier erneut in der Größe des Zuspruchs, des Heils- oder eben des Performance-Versprechens. Es geht um nichts weniger als das „Himmelreich“, also „die ganze Welt und darüber hinaus“. Das ist sozusagen „Think Big“ zum Dritten! Denn größer als das Universum geht es nicht!
In Marketingsprache soll von der Größe des Leistungsversprechens Glanz und Faszination ausgehen: Mit einem bestimmten Shampoo wird auch das unscheinbarste Mauerblümchen zum gefeierten Star. In der Bergpredigt geht es freilich nicht um den Kauf eines Produktes, sondern um etwas sehr Spezifisches: Aufmerksamkeit und Identifikation.
6. Interessanterweise spielt heute speziell im digitalen Raum die Gewinnung von Aufmerksamkeit in der Gestalt der Aufmerksamkeitsökonomie eine entscheidende Rolle. Sie spiegelt sich in der Markenbekanntheit und in der Markenreputation. Sie wird speziell in der Digitalwirtschaft zum Maß aller Dinge. Ausgeklügelte Algorithmen sind darauf ausgelegt, die Nutzerzeiten für einen Kanal, einen Inhalt, einen Absender zu maximieren. Wer YouTube-Filme schaut, soll sich nach dem Diktat der Algorithmen keine Pause gönnen. Unmittelbar nach jedem Film kommt ein neuer Vorschlag! Man spricht demgegenüber vom Ziel der „digitalen Souveränität“, die wir erlernen und bisweilen wiedergewinnen müssen (Ulrich Hemel, Kritik der digitalen Vernunft, Freiburg/Br. 2020).. –
In der Bergpredigt geht es ebenfalls um Aufmerksamkeit, allerdings in gesteigerter Form. Es geht um die innere „Share of Attention“. Denn aus den genannten Zielgruppen der Bergpredigt ergeben sich spezifische Haltungen, so etwa die Barmherzigkeit, der Gerechtigkeitssinn oder die Suche nach Frieden. Und schon damit haben wir in unserer Welt mehr als genug zu tun!
7. Die Suche nach Frieden und Gerechtigkeit und die Praxis der Barmherzigkeit sollen aber nicht umsonst sein! Sie werden nicht nur in Gestalt einer Rendite, also des „Himmelreichs“, belohnt, sondern sie ergeben schon hier und jetzt Sinn. Sie führen zum Erfolg!
Diese Erfolgsorientierung in Verbindung mit einem Sinnversprechen findet sich in der gegenwärtigen Wirtschaftspraxis durch die Suche nach „Purpose“, nach Sinn und Zweck, nach einem Gemeinwohlbeitrag von unternehmerischem Handeln. Vor allem für die jüngere Generation von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern kommt dem „Purpose“ und dem Sinn in der eigenen Arbeit eine überragende Bedeutung zu.
In der Bergpredigt aber wird nicht nur ein Tun-Ergehens-Zusammenhang beschrieben, etwa in der Art einer Wenn-Dann-Folge: Wenn Du traurig bist, wirst Du getröstet werden; wenn Du barmherzig bist, wirst Du Barmherzigkeit finden. Beschrieben wird vielmehr eine grundsätzliche Haltung für die Fans, für die Follower, für die Menschenfischer und die Protagonisten der Jesus-Botschaft. Sie zeigen Haltung, aber sie sind auch „aktivistisch“ tätig.
8. Die Seligpreisungen verfolgen damit aus wirtschaftlicher Sicht auch die Zielsetzung der „Fahnen- oder Markenbildung“ und des „Markenaufbaus“ oder „Branding“. Klar ist ja: Es sind nicht alle Menschen Jünger Jesu. Aber die, die es sind, sein wollen und sein können, bilden sozusagen eine Fan-Gruppe.
Das ist bekannt von Fußball-Fangruppen, die ihrem Verein durch alle Höhen und Tiefen folgen. Das drückt sich aus durch Identifikations-Markierungen wie T-Shirts, Fan-Artikel und gezielt ausgedachte Markenwelten. Eine solche Jesus-bezogene Markenwelt bildet den impliziten Horizont der Seligpreisungen. Denn zu einer identifikatorischen Markenwelt gehört immer auch der Wiedererkennungswert: Ich will zeigen, dass ich mich zu einer Marke bekenne, und ich will von anderen wissen, wie sie sich positionieren. Dadurch wird das urmenschliche Bedürfnis nach Identifikation und Zugehörigkeit gestillt, und zwar auch dann, wenn die psychische Bedürfnisbefriedigung zunächst einmal in der Ferne liegt, etwa nach der Niederlage eines Fußballvereins.
Fazit: Meine Damen und Herren, ursprünglich war ich nicht sicher, ob ein wirtschaftlicher Blick für die Seligpreisungen hilfreich sein könnte. Tatsächlich eignet sie sich bei näherem Hinsehen hervorragend für eine entsprechende Analyse. Nur sollten wir zwei Dinge dabei nicht vergessen:
– Wirtschaft ist nicht nur monetäres Wirtschaften
– Und religiöse Zielsetzungen sind nicht in erster Linie wirtschaftlicher Natur.
Da aber beide Welten sich mit Menschen auseinandersetzen, mag es am Ende doch nicht so ganz überraschend sein, dass sich große Übereinstimmungen finden lassen. Denn die Wirtschaft ist für den Menschen da (das ist übrigens der Titel eines Buches von mir aus dem Jahr 2013). Und das gilt schließlich auch für das Christentum und wohl jede Religion: Es geht um den Menschen.
Religiöses Handeln ist für den Menschen da, sonst verfehlt es seinen Sinn und Zweck! Und vielleicht ist es gut, wenn wir uns das in unserer eigenen Kirche immer wieder vergegenwärtigen!
Prof. Dr. Dr. Ulrich Hemel, Bundesvorsitzender des Bundes Katholischer Unternehmer (BKU)