Die Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Enquetekommission „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“, Antje Lezius, gibt im Interview mit dem BKU-Journal Antworten auf Fragen zur Situation und zu Perspektiven der beruflichen Bildung
Frau Lezius, wie wird nach Ihrer Einschätzung die zentrale Bedeutung der dualen Ausbildung in der Bundespolitik gesehen?
Lezius: Ich bin überzeugt davon, dass wir eine starke berufliche Bildung brauchen, um die Wirtschaftskraft Deutschlands zu stärken, die Teilhabe und Integration junger Menschen zu fördern und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Die duale Ausbildung ist ein Aushängeschild Deutschlands. Die zentrale Bedeutung der beruflichen Bildung wird in der Bundespolitik ressortübergreifend auf jeden Fall gesehen, was sich unter anderem an der Einsetzung der Enquetekommission „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ 2018 und an zahlreichen Statements unserer Bundeskanzlerin, unserer Bundesministerin für Bildung und Forschung und unseres Bundesarbeitsministers zeigt. Zudem wird die berufliche Bildung vielfältig gefördert. Dass im März – aufgrund der Coronapandemie – das Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“ verlängert wurde, um die betriebliche Berufsausbildung zu stabilisieren, freut mich sehr.
Worin sehen Sie aktuell die zentralen Herausforderungen und Problemlagen beruflicher Bildung?
Lezius: Ich habe vor meiner Tätigkeit als Bundestagsabgeordnete selbst ausgebildet und verfolge schon seit langer Zeit die Lage am Ausbildungsmarkt. Dass seit einigen Jahren immer weniger ausgebildet wird und Stellen unbesetzt bleiben, beunruhigt mich sehr. Die berufliche Bildung muss attraktiver werden, damit wir gut ausgebildete Fachkräfte für unsere Wirtschaft haben. Deshalb appelliere ich an Betriebe: Stellen Sie weiterhin Ausbildungsplätze zur Verfügung. Und ich appelliere an Eltern und junge Menschen: Vergegenwärtigen Sie sich die Werte einer soliden beruflichen Ausbildung. Die voranschreitende Digitalisierung ist eine weitere Herausforderung. Wie verändern sich Berufe? Welche Qualifikationen werden zukünftig benötigt? Wie können Betriebe und Berufsschulen flächendeckend gut digital ausgestattet sein? Auf diese Fragen müssen wir Antworten finden, über diese Fragen diskutieren wir in der Enquetekommission. Wichtiger Baustein der dualen Ausbildung sind die Berufsschulen und Berufsbildungszentren.
Gerade diese leiden aber unter einem Mangel an Lehrern und an schlechter Ausstattung. Wie kann deren Situation verbessert werden?
Lezius: Für mich steht fest: Berufsschulen und Berufsbildungszentren müssen gut ausgestattet sein. Dass hier Bedarfe“– vor allem mit Blick auf die digitale Ausstattung“– bestehen, zeigt sich seit einiger Zeit immer deutlicher. Nur mit einer modernen Ausstattung können Kompetenzen vermittelt und erlernt werden. Alle Beteiligten auf allen Ebenen müssen gemeinsam praktikable Lösungen fi nden, die beispielsweise von einer Stärkung der Verbundausbildung bis hin zu einer stärkeren Einbeziehung regionaler Unternehmen reichen könnten. Zudem muss identifi ziert werden, warum immer weniger Menschen als Berufsschullehrer arbeiten möchten. Um den Beruf attraktiver zu machen, muss an den entsprechenden Stellschrauben gedreht werden.
Was waren oder sind die Schwerpunkte der Arbeit der Enquetekommission?
Lezius: In der Enquetekommission „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ setzen wir uns mit zukünftigen Herausforderungen und Chancen der beruflichen Bildung auseinander“– mit dem Schwerpunkt Digitalisierung. Untergliedert haben wir die Arbeit in Projektgruppen, die jeweils an verschiedenen Themen arbeiten oder gearbeitet haben, wie beispielsweise an der Attraktivitätssteigerung der beruflichen Bildung, der Fachkräftesicherung und auch an der Aus- und Weiterbildungsfinanzierung.
Im Juni 2021 stellen wir den Endbericht und damit unsere Ergebnisse dem Parlament und der Öffentlichkeit vor. Welche Veränderungen sind künftig wichtig?
Lezius: Meiner Ansicht nach ist es wichtig festzustellen und zu beobachten, wie sich Berufe künftig entwickeln und welche Bedarfe entstehen, vor allem mit Blick auf die voranschreitende Digitalisierung. Neue Berufsbilder wirken sich dann unmittelbar auf die Ausbildungen aus. Wir wollen den bestqualifi zierten Nachwuchs, den wir ausbilden können. Daher müssen wir die Ausgestaltung der Ausbildungen im Blick haben. Gemeinsam mit Betrieben, Wirtschaftsverbänden und Kammern arbeiten wir daran, allen, die eine Ausbildung beginnen möchten, solch eine zu ermöglichen. Damit einher geht das lebensbegleitende Lernen aller, da das Erlernen von neuen digitalen Kompetenzen in dem sich schnell wandelnden Arbeitsalltag unabdingbar wird. Ich kann jeden Einzelnen, unabhängig von der Berufsgruppe, nur dazu ermutigen, sich eigenverantwortlich weiterzubilden.
Wie kann die Digitalisierung helfen, die berufliche Bildung weiter zu stärken?
Lezius: Der Megatrend der Digitalisierung wird in den kommenden Jahren, neben den Megatrends der voranschreitenden Globalisierung und dem demografi schen Wandel, unsere Gesellschaft verändern. Das betrifft auch die berufliche Bildung. Manchmal lösen solche Veränderungen Ängste aus. Die Digitalisierung kann jedoch als Chance gesehen werden und die berufliche Bildung stärken. So kann die Digitalisierung etwa dabei helfen, Arbeitsabläufe sicherer zu machen und so Arbeitsunfälle verhindern, und virtuelle Realität könnte das Erlernen einzelner Arbeitsschritte erleichtern. Letztendlich könnte die Digitalisierung auch manche Berufe für junge Menschen attraktiver machen. Darüber hinaus bietet die Digitalisierung Chancen für Betriebe in ländlichen Regionen.
Die duale Ausbildung eröffnet traditionell auch die Möglichkeit einer selbstständigen Tätigkeit. Wie kann das gestärkt werden?
Lezius: Eine Ausbildung kann der erste Schritt hin zu einem erfolgreichen Unternehmer sein. Es gibt sicherlich einige Kompetenzen, die grundsätzlich für Unternehmer anzustreben sind. Ich denke hier an den „ehrbaren Kaufmann“. Andere Kompetenzen sind branchenabhängig. Generell bin ich der Ansicht, dass jeder, der Unternehmer werden möchte, schauen muss, welche Kompetenzen und Qualifi kationen ihm fehlen und sich dann eigenverantwortlich dementsprechend fortbilden muss. Während einer Ausbildung wäre es hilfreich, Aufstiegsweiterbildungen zu nutzen. In Ausbildungsrahmenplänen sollten die Themen Selbstständigkeit und Unternehmensgründungen ebenfalls möglichst enthalten sein. Fehlende Qualifi kationen könnte man sich auch in Eigenregie, zusätzlich zu den Ausbildungsinhalten, aneignen.
Was tut die Bundespolitik, um die als Vorbild geltende duale Ausbildung auch international einzubringen?
Lezius: Über das Thema Internationalisierung diskutieren wir in der Enquetekommission. Dazu wird es ein eigenes Kapitel im Abschlussbericht geben. Die duale Ausbildung hat den Charakter, international als Vorbild zu gelten, ja, sie hat meiner Ansicht nach das Potenzial, ein Exportschlager zu sein. Dennoch kann sie nicht automatisch auf alle Länder übertragen werden, wo es teilweise andere Ausbildungssysteme gibt. Seit einigen Jahren stärken wir Kooperationen zwischen Betrieben europaweit und ermutigen Auszubildende, einen Teil ihrer Ausbildung im Ausland zu absolvieren. Auf diese Art und Weise entsteht ein automatischer gegenseitiger Austausch, der dementsprechend die Vorzüge einer dualen Ausbildung sichtbar macht. Zudem engagiert sich beispielsweise das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung stark in Afrika. Dabei geht es auch um die Etablierung gut funktionierender Ausbildungsstrukturen.
Interview: Markus Jonas
Die gesamte Ausgabe des BKU Journals 1/2021 finden Sie hier.