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Beim jüngsten Mittags-Jour Fixe der BKU-Diözesangruppe Düsseldorf am Dienstag, dem 16.07.2024, referierte Prof. Dr. Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie und Professor für Islamische Religionspädagogik, über die Herausforderungen und Chancen eines humanistischen Islams in einer christlich geprägten Gesellschaft. Die Veranstaltung fand im Industrieclub Düsseldorf und online via Zoom statt.
In seinem Impulsvortrag zu Beginn des Mittags-Jour Fixe der DG Düsseldorf betonte Khorchide, dass es sowohl eine gesamtgesellschaftliche als auch eine muslimische Aufgabe sei, den Islam so auszulegen, dass er mit den Menschenrechten und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar ist. Dabei müsse innerhalb eines Islams, der in Deutschland Fuß fassen wolle, auch die freiheitlich-demokratische Grundordnung Platz finden. Es sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Räume der Begegnung und Anerkennung zu schaffen, insbesondere für junge Menschen. Diese dürften nicht an selbsterklärte Prediger verloren werden, die sie in Widerspruch zur Gesellschaft bringen. Bildungssektor, Arbeitsmarkt, Freizeitaktivitäten und Jugendarbeit seien entscheidende Bereiche, in denen solche Begegnungsräume entstehen könnten.
Gefahren der Pauschalisierung durch den Islamismus
Ein weiterer zentraler Punkt seines Vortrags war die Gefahr der Pauschalisierung durch den Islamismus. Dieser versuche, aus einzelnen Diskriminierungserfahrungen eine generelle Feindschaft zwischen Islam und Westen zu konstruieren. Nicht nur der gewalttätige, sondern auch der legalistische Islamismus versuche, ein Narrativ zu setzen, das eine Feindschaft zwischen Islam und Westen betone. Khorchide warnte vor der gegenseitigen Befruchtung von Rechtspopulismus und Islamismus, die sich gegenseitig in ihren Erzählungen bestärken.
Notwendigkeit einer umfassenden Bildung
Khorchide forderte außerdem, dass eine historisch-kritische Exegese des Korans allein nicht ausreiche. Es müsse auch auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen geachtet werden, damit solche Meinungen innerhalb der muslimischen Bevölkerung verbreitet werden könnten. Die Ausbildung von Imamen und ein islamischer Religionsunterricht an Schulen seien essenziell, um jungen Muslimen Zugang zu einem reflektierten Islam zu ermöglichen. Nur etwa 10 Prozent der muslimischen Schüler in Nordrhein-Westfalen würden derzeit durch den islamischen Religionsunterricht erreicht. Junge Menschen bräuchten Schlüssel, um zwischen menschenfeindlichen und menschenfreundlichen Varianten des Islams unterscheiden zu können, damit sie als mündige Wesen ihre Religiosität selbst bestimmen könnten.
Überdurchschnittliche Zunahme von Judenfeindlichkeit
Khorchide wies zudem auf empirische Daten hin, die seit dem 7. Oktober eine überdurchschnittliche Zunahme von Judenfeindlichkeit unter Muslimen im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen zeigen. Diese Entwicklung stehe im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt und werde oft von linken Gruppierungen im Sinne eines antiwestlichen Narrativs unterstützt. Er betonte die Notwendigkeit, über die unterschiedlichen Ausprägungen des Antisemitismus zu sprechen und junge Menschen aufzuklären. Dabei warnte er davor, dass man sich in Deutschland oft nur auf die eigene Geschichte konzentriere und andere Erzählungen außer Acht lasse.
Koalition der universalen Werte
Khorchide forderte eine Koalition der universalen Werte, die sich der Islam mit dem Christentum teile, gegen Partikularisten, Fundamentalisten und Extremisten aller Art. Er betonte: „Wir brauchen hier ein Zusammenrücken, nicht um uns identitätspolitisch zu trennen, sondern, um zusammen für unverhandelbare Werte in unserer Gesellschaft einzustehen.“ Dies solle eine Gegenerzählung zu allem sein, was spaltet, und sich auf alles konzentrieren, was eint.
Welche Fremdheit verträgt eine christliche Gesellschaft?
Im Rahmen seines Vortrags stellte Khorchide auch die zentrale Frage: „Welche Fremdheit, welche Form von Islam verträgt eine christliche Gesellschaft?“ Er betonte, dass die christliche Gesellschaft nicht überfordert und ihr nicht zu viel abverlangt werden dürfe. Mit Blick auf die Möglichkeit eines reformierten Islams betonte er: „Wenn der Islam kompatibel mit unseren Werten ist, ist das dann noch eine Fremdheit?“ Die Frage im Jahresthema der DG Düsseldorf, „Wie viel Fremdheit verträgt eine christliche Gesellschaft“ beantwortete er abschließend wie folgt: „Gerade so viel Fremdheit, dass diese Fremdheit nicht mehr fremd erscheint.“
Wertvolle Beiträge von prominenten Gästen
Albrecht Prinz von Croy, BKU- und ZdK-Mitglied sowie Vizepräsident des Malteser Hilfsdienstes, und Dr. Andreas Püttmann, Politologe, Journalist und Publizist, beide selbst schon Referenten bei früheren Mittags-Jour Fixes, bereicherten die Diskussion mit wertvollen Beiträgen. Albrecht Prinz von Croy betonte, dass katholische Hilfsorganisationen nicht nach dem „Warum“ hinter der Migration fragen dürften, sondern sich auf die konkrete Hilfe konzentrieren sollten. Dr. Andreas Püttmann warnte davor, dass das Christentum zu einem bloßen Identitätsmerkmal verhärten und als kulturelle Abwehr gegen den Islam instrumentalisiert werden könnte.
Menschenwürde, Gottesbild, Nächstenliebe
Maria Fischer, Vorsitzende der BKU-Diözesangruppe Düsseldorf, moderierte die Diskussion und betonte die Notwendigkeit, den Islam als konstruktiven Teil der Gesellschaft zu fördern. Sie warnte: „Wenn wir als Christen nicht verstehen, dass unsere Schwesterreligion der Islam mit gleichem Maß an Aufmerksamkeit behandelt werden muss, wie unsere eigene, werden wir unseren Kindern keine gute Gesellschaft hinterlassen.“ Fischer unterstrich, dass die Substanz der Religionen – Menschenwürde, der Mensch als Ebenbild Gottes und die Nächstenliebe – im Islam und im Christentum ähnlich sei und dankte Khorchide für seinen unermüdlichen Einsatz für diese Verständigung.