"Erst die Einschränkungen der Sonntagsgesetze geben uns die Freiheiten am Sonntag Dinge zu tun, die wir sonst nicht tun können. Sowohl im weltlichen als auch im religiösen Sinne. Damit werden die Einschränkungen der Sonntagsgesetze zum Stützpfeiler unserer Gesellschaft, Kultur und Religion. Der maßvolle Umgang mit diesen Einschränkungen bringt im Ergebnis mehr Freiheiten und führt offen kommuniziert zu einer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz. Der völlige Wegfall aller Sonntagsgesetze führt indes zu einer erheblichen Entmenschlichung und Unfreiheit." Robert Ellinghoven, als Resümee der Gesprächsrunde.
intensive Gespräche, Bild: Thomas Langens, Aachen
Gedanken Impuls zum Thema „Sonntagsarbeit – Gemeinwohl“ von Andris Gulbins, KAB Aachen
Ich möchte zunächst mit einigen programmatischen Aussagen beginnen, weil diese deutlich machen, dass es beim Thema Sonntag um Grundfragen unserer Wirtschaftsordnung geht. Wie kann im Wirtschaftsleben die Würde der menschlichen Person wie auch das Wohl der gesamten Gesellschaft geachtet und gefördert werden, ist doch der Mensch Urheber, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft. Johannes XXIII wird da sehr konkret: "Es fehlt aber auch nicht an Gründen zur Beunruhigung. Nicht wenige Menschen, namentlich in den wirt-schaftlich fortgeschrittenen Ländern, sind von der Wirtschaft geradezu versklavt, so daß fast ihr ganzes persönliches und gesellschaftliches Leben von ausschließlich wirtschaftlichem Denken bestimmt ist."
Es ist eine Warnung, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der katholischen Soziallehre zieht. Auch heute stellen wir nicht anderes fest, als die Unfähigkeit der Märkte, in mittlerweile deregulierten Bereichen – so auch beim Thema Sonntag in den Ländern und Kommunen - entstandene Miss-stände und Sklavenverhältnisse zu beseitigen.
Der Offshore bzw. Finanzmarkt-Kapitalismus, der mit seinen Rendite-Vorgaben die Realwirtschaft erdrückt. Erzielte Wohl-stand/Gewinn/Produktionsfortschritt werden einseitig abgeschöpft und landen bei den Vermögenden und Kapitaleignern.
Es gibt den anwachsenden Marktmacht-Missbrauch großer Akteure und Konzerne gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen
Und zwei globale Fragestellungen darf ich noch ergänzen
Über den Markt mit seinen Preis-Mechanismen kann der Klimawandel und die Ressourcenausbeutung nicht gestoppt werden
Es fehlt ein Ordnungsrahmen für eine Weltwirtschaft, die sich nicht dem Fortschritt sondern einer nachhaltigen Entwicklung verschreibt
Mit Johannes Paul II müssen wir feststellen, dass der Markt „erwiesenerweise unfähig ist, jene menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, die ihrer Natur nach weder bloße Waren sind noch sein können und weder ge- noch verkauft wer-den können“. Schutzgüter, die sich aus dem Gemeinwohl ableiten, bleiben fern des Marktdenkens auf der Strecke.
In der Allianz für den freien Sonntag sammeln sich Akteure, die diese Spannung zwischen Markt und Gemeinwohl thematisieren.
Ihre Aktivitäten richtet die Allianz an die politisch Verantwortlichen, mit deren Verantwortung für die Sicherung des Gemeinwohls. Und sie müssen doch zu-gleich feststellen: Es waren schon andere da, z.B. Handelskonzerne wie Kar-stadt oder Galeria Kaufhof.
Das Beispiel des freien Sonntags macht deutlich, dass das Marktdenken in staatlichen Institutionen zurückgedrängt werden muss, wo es sich eingeschlichen, aber nichts zu suchen hat und wo es - Stichwort Entfesselungspaket der neuen Landesregierung - verbunden wird mit Schlagworten wie „Standort- und Steuerwettbewerb“ und Entfesselungsoffensive.
Beim Thema des freien Sonntags geht es um das aus Sicht der katholischen Soziallehre entscheidende Prinzip des Gemeinwohls. Dort die Beschreibung eines marktwirtschaftlichen Rahmens, der aus Sicht der katholischen Sozial-lehre einen guten Ordnungsrahmen bildet, weil er auf dem Schutz des Privat-eigentums, auf unternehmerischer Freiheit und Initiative und dem schöpferi-schen Handeln der Menschen, dem Tausch von Gütern und Dienstleistungen und der Befriedung von Bedürfnissen basiert. Dagegen steht die deutliche Beschreibung eines Gemeinwohls, dass diesem Markt auch seine deutlichen Grenzen aufzeigt, weil er nicht alle menschlichen Bedürfnisse sichern kann und will, z.B. die nach einem arbeitsfreien Sonntag.
Diese Verbindung zwischen Markt und Gemeinwohl abzustimmen, ist Aufgabe des Rechtsstaates und bedarf ebenso eines unsere Gesellschaft tragenden moralischen Systems, also einer Wertordnung - was damit auf das christliche Menschenbild verweist.
Das christliche Menschenbild findet seinen Niederschlag im Prinzip der Perso-nalität. Begründet wird die Personalität in der Gottebenbildlichkeit des Men-schen, die jedem Menschen eine unbedingte und menschlicher Verfügung entzogene Würde zusichert. Der Mensch hat nicht nur Bedürfnisse als Produ-zent und Konsument, sondern aus seiner Menschenwürde abgeleitete Bedürfnisse. Frei ist der Mensch nur dort, wo er von den Zwängen und rationalen Vorgaben eines Marktes befreit ist. Gerade am Sonntag, als dem Tag des Herrn, kann er diese Freiheit erfahren
Entsprechend bedarf es zum Prinzip der Personalität und zur Sicherung der Würde jedes einzelnen Menschen eines Gesellschaftsbildes, welches nicht verkürzend ökonomisch, sondern ganzheitlich angelegt ist.
„Aus der Würde - so nachzulesen in gaudium et spes - aller Personen ergibt sich das Prinzip des Gemeinwohls, auf das sich jeder Aspekt des sozialen Lebens beziehen muss, um zur Fülle seiner Bedeutung zu ge-langen.“ 3
Es handelt sich dabei um „die Gesamtheit jener Bedingungen, die sowohl den Gruppen als auch deren einzelnen Gliedern ein volleres und leichteres Errei-chen der eigenen Vollendung ermöglichen. Dies greift Benedikt, fast fünfzig Jahre nach dem Konzil erneut auf und schreibt: Das Wirtschaftsleben kann nicht alle gesellschaftlichen Probleme durch die schlichte Ausbreitung des Ge-schäftsdenkens überwinden. Es soll auf das Erlangen des Gemeinwohls aus-gerichtet werden, für das auch und vor allem die politische Gemeinschaft sor-gen muss.
Hinter dem Begriff Gemeinwohl verbirgt sich nun keine Katalog oder Kanon, in dem einzelne Rechtsgüter beschrieben sind, die dem Gemeinwohl zuzuord-nen sind. Es ist ein sehr flüssiger Begriff! Ist Wohnen ein universelles, also schutzwürdiges Gut, das dem Gemeinwohl zuzuordnen ist - oder regelt der Markt das Wohnen? Ist der Zugang zu Erwerbsarbeit ein gemeinwohlorientier-tes Schutzgut - oder obliegt der Zugang der Eigenverantwortung der Marktteil-nehmer?
Das Gemeinwohl ergibt sich in jeder einzelnen Frage aus dem Konsens der Betroffenen, aus einem gesellschaftlichen auf Werten basierenden Dialog und mündet schließlich in gesetzliche Regelungen - so auch der Schutz des Sonntags in unserer Verfassung.
Drei Aspekte möchte ich beschreiben, die den freien Sonntag schützenswert machen.
1. Anthropologische Grundlagen
Das christliche Menschenbild ist nicht individualistisch, sondern personal defi-niert und von daher natürlich auf Gemeinschaft angelegt. Der arbeitsfreie Sonntag bildet einen durch die Verfassung garantierten Anspruch, diese "So-zialität" leben zu können. „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei...“heisst es in der Genesis.
Der Blick auf die vielfältigsten Kulturen auf unseren Erdball macht deutlich, dass Gesellschaften ihre Rhythmen des Wirtschaftens unterbrechen - und die-se Unterbrechung als Gemeinschaft miteinander gestalten - besser gesagt: feiern, was Hengsbach die Festzeit des Menschen nennt. Der Mensch gestal-tet die Kreisläufe der Natur, Sommer und Winter - und erfährt sich zugleich als Teil dieser Schöpfung. Er unterbricht den Rhythmus von Saat und Ernte und damit den Rhythmus seiner Arbeit. Der Mensch gestaltet die Wechsel in den Phasen seines Lebens von der Geburt bis zum Tod. Oder es sind die Jahres-zeiten, der Wechsel von Trockenheit zur Regenzeit, der Rhythmus von Sonne und Mond.
Heute beklagen viele Menschen den Verlust ihrer Zeitsouveränität. Der Sonn-tag steht auch für eine Unterbrechung anwachsender Erfordernisse zu immer mehr Flexibilität. Er unterbricht – so meine postmoderne Formulierung – die Zeit-ist-Geld-Logik
2. Die Arbeitsruhe
In der ersten Sozialenzyklika rerum novarum spielten noch die Gedanken an die "Güter des Jenseits und die Pflichten der Gottesverehrung" die zentrale Rolle beim Thema Sonntagsschutz. Johannes Paul II dagegen hat deutlich auch auf die profane Bedeutung der Sonntagsruhe hingewiesen. In laborem exercens benennt er die Gesundheit der Arbeitnehmer und den Arbeitschutz, aber auch die Kultur und das Recht auf Vergnügungen, das der Sonntag mög-lich macht.
3. Die religiöse Bedeutung
Der Sonntag - so schreibt der gleiche Papst 1998 in dies domini - steht für die Unverfügbarkeit des Menschen. So gesehen -schreibt er - gewinnt die Sonn-tags- und Feiertagsruhe eine »prophetische« Dimension, indem sie nicht nur den absoluten Primat Gottes, sondern auch den Primat und die Würde des Menschen gegenüber den Forderungen des Gesellschafts- und Wirtschaftsle-bens bekräftigt - zumindest am Sonntag steht der Mensch für diese rationalen Vorgaben nicht zur Verfügung. Am Sonntag gibt es keine Verkäufer und Kun-den, Reiche und Arme, Herren und Sklaven, was wir ja in der eucharistischen Feier durch das Teilen zum Ausdruck bringen. Wir sammeln - wie Paulus an-regt- im Verlaufe der Woche, um es am Sonntag zu teilen. So ist der Sonntag auch ein Tag der Solidarität. In gewisser Weise nehmen wir am Sonntag den neuen Himmel und die neue Erde vorweg, wo die Befreiung von der Sklaverei der Bedürfnisse und den Vorgaben des Marktes endgültig und vollständig sein wird. Kurz, der Tag des Herrn wird so ganz authentisch auch zum Tag des Menschen. Mahnend schreibt Johannes Paul II, das der Sonntag also kein Vergnügen für uns Christenmenschen darstellt, weil unsere Werke der Nächs-tenliebe, der Barmherzigkeit und des Teilens auf den ganzen Tag ausstrahlen sollen.
Der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker hat in seinem aktuellen Fas-tenhirtenbrief am vorgestrigen Sonntag geschrieben: „Natürlich soll der Sonn-tag als Ruhetag auch der persönlichen Erholung und dem gemeinsamen Fa-milienleben dienen. Doch es geht um mehr. Die Kirche betont die Heiligung des Sonntags um der Heiligung des Menschen willen. Denn nur durch wirt-schaftliche Leistung oder persönliche Zerstreuung kann der Hunger des Men-schen nach wirklichem Leben nicht gestillt werden. Das Sonntagsgebot erin-nert vielmehr an den neuen und ewigen Bund, den Christus mit der Mensch-heit geschlossen hat.“
Lasst uns also über diesen Sonntag entscheiden - entscheiden wir, ob die Prinzipien des Marktes, die da heißen Konkurrenz statt Gemeinschaft, Rivalität statt Solidarität, Aktivität statt Ruhe, Schnelligkeit statt keit ,Verkaufen statt Schenken, kurz gesagt: Geld statt Liebe, ob diese Prinzi-pien unser ganzes Leben bestimmen sollen.“
Dies waren drei Zugänge, mit denen ich versucht habe, den Gemeinwohlbezug zum Thema Sonntag zu beschreiben.
Aber, wenn's doch - so zum Schluss - so einfach wäre?
Aktuell erfahren wir in den Debatten um den freien Sonntag, dass der Ge-meinwohlbegriff auch von den Befürwortern der Ladenöffnung in Anspruch genommen wird - neue Vorgaben – als Bedürfnisse der Menschen - werden ins Spiel gebracht.
Ins Spiel wird vermehrt eingebracht, dass es ja die Menschen selbst seien, für die der sonntägliche Einkauf, insbesondere im Gemeinschaftlichen mit der ganzen Familie, ein Event bzw. ein positives Ereignis darstelle. Konzernvertre-ter legen Landespolitikern Worte in den Mund, wonach die Belebung toter In-nenstädte durch die sonntägliche Öffnung einen Beitrag zum Gemeinwohl darstelle. So haben die beiden Warenhäuser Karstadt und Galeria Kaufhof im letzten Sommer unter dem Motto „Selbstbestimmter Sonntag“ eine Kampagne für die völlige Abschaffung der Sonntagsruhe im Handel gestartet. Wenn sich für uns das Gemeinwohl über die wesentlichen menschlichen Bedürfnisse be-stimmt, die sich der Logik des Marktes entziehen, dann ist unsere Gegenrede gefragt. Eine Gegenrede nicht nur mit Blick auf die Handelskonzerne, sondern vor allem auf die Menschen hin, die den sonntäglichen Einkauf als ihr indivi-duelles und damit schützenwertes Freiheitsrecht beschreiben und vorgeben, was das gemeine Wohl ist.
Dies mag eine erste Fragestellung sein für den "Dialog bei Tisch"
Vielleicht sprechen wir zweitens bei Tisch auch darüber, den Worten JPII folgend, wie wir's selbst mit dem Sonntag halten.
Als Drittes bleibt die Aufforderung, miteinander zu beraten, wie wir poli-tisch Mehrheiten schaffen können, um unseren Sonntag auch für unsere Kinder und Enkel zu sichern.
Und zum Letzten möchte ich alle Anwesenden zum Dialog auffordern. Bleiben wir nicht im Tempel und begeben uns auf den „Vorhof der Hei-den“, wo - wie Franziskus uns auffordert - Glaubende und Nichtglau-bende über die grundlegenden Themen der Ethik und des Gemeinwohls miteinander ins Gespräch kommen können.
Ich danke und freue mich aufs Gespräch – Kommt und sprecht!
Hinweis
Da es sich um einen mündlich vorgetragenen Text handelt, wurde auf die Kennzeichnung von Zitaten und die Benennung von Quellen verzichtet.
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Andre Gulbins im Gespräch