Unternehmen und Wissenschaft arbeiten gemeinsam an den Herausforderungen der künstlichen Intelligenz.
von Heinrich Wullhorst
Die alte analoge Welt mit der neuen digitalen verknüpfen – das ist die Herausforderung für erfolgreiche Unternehmen, die erfolgreich bleiben wollen. Das gelingt umso besser, je mehr Unternehmen Partner aus verschiedenen Bereichen einbinden.
„Um die großen Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz auf dem Sektor der Produktentwicklung optimal zu erschließen, bieten sich Kooperationen mit unterschiedlichen Partnern an“, beschreibt Margot Ruschitzka. Die Professorin an der Technischen Hochschule in Köln verantwortet, unterstützt von ihrem Mitarbeiter Alexander Nüßgen, den wissenschaftlichen Part des innovativen Forschungsprojektes „Design Consultant 4.0“. Hier hat sich ein interdisziplinäres Team aus Forschung und Industrie gefunden, das die Entwicklung eines intelligenten und ganz heitlichen Konstruktionstools für Produktentstehungsprozesse in der Einzelteilfertigung vorantreiben will. „Das Spannende in diesem Projekt ist, dass die Partner zum größten Teil aus dem Kreis der BKUMitglieder stammen. Das zeigt, dass unser Netzwerk nicht nur dem persönlichen Austausch dient, sondern es darüber hinaus wirkt, um gemeinsam Projekte in Angriff zu nehmen“, freut sich die Wissenschaftlerin, die sich im Bundesvorstand des BKU engagiert.
„Das Thema der Optimierung von Produktionsprozessen durch künstliche Intelligenz in Form von neuronalen Netzen ist im Ingenieurbereich nicht neu. Es beschäftigt uns schon seit Jahrzehnten“, berichtet Margot Ruschitzka. „Durch die aktuellen technischen Entwicklungen hat es allerdings eine neue Dynamik erhalten, die dazu führt, dass jetzt aus Unternehmen immer öfter Anfragen an die Wissenschaft gestellt werden, wie sich deren Anforderungen mit künstlicher Intelligenz besser umsetzen lassen und im Allgemeinen eine Nutzbarkeit für die Industrie ermöglicht wird.“
In dem Projekt, das durch das Programm „ZIM Impulse für Wachstum, Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie gefördert wird, entwickeln die Partner ein Konstruktionstool, das den gesamten Prozess der Entstehung eines Produktes umfassend begleitet. Zentral beteiligt ist die metalution GmbH. Sie gehört zum Unternehmensverbund des stellvertretenden BKU Vorsitzenden Daniel Trutwin. Die Firma hat eine über 40-jährige Tradition als zuverlässiger Partner in der Zerspanungstechnik für höchste Ansprüche an Qualität und Zuverlässigkeit. Mit 16 Fräsmaschinen, fünf Schleifmaschinen, einer Laseranlage und einer Wasserstrahlschneidanlage realisieren die rund 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens die Kundenaufträge mit umfangreichem Knowhow.
Gerade in diesem Präzisionsbereich gibt es hohe Anforderungen vonseiten der Kunden. Um diesen gerecht zu werden, kommt jetzt die künstliche Intelligenz ins Spiel. Alexander Nüßgen erklärt, worum es im Kern geht: „Wir wollen ein einsatzfähiges Tool entwickeln, das in der Lage ist, für einen kundenseitigen Konstruktionswunsch eine direkte Vorhersage über benötigte Parameter zu treffen.“ Dabei komme es besonders darauf an, bereits frühzeitig etwaige Schwächen des angestrebten Bauteils, wie Konstruktionsfehler, die möglicherweise zur Instabilität eines Werkstücks führen können, zu entdecken. Dabei steuere die künstliche Intelligenz alle notwendigen Prozesse und Einzel- schritte hierfür unter Berücksichtigung der im Fertigungsbereich des Unternehmens zur Verfügung stehenden Ressourcen.
Gleicher Erfahrungsschatz
Markus Bogoczek, der Geschäftsführer der metalution GmbH ist Mitglied im BKU. Er beschreibt, warum das KI-Projekt für sein Unternehmen so wichtig ist: „Die künstliche Intelligenz ermöglicht es, dass allen Mitarbeitern der gleiche Wissens- und Erfahrungsschatz zur Verfügung steht. Das erleichtert die Arbeit und hilft uns dabei, Prozesse zu optimieren.“ Als Unternehmen könne man dann schneller und effizienter produzieren. Aber der Einsatz der künstlichen Intelligenz bringt auch für den Kunden einen großen Vorteil mit sich. „Wir können ihm in Echtzeit ein Optimierungspotenzial in der Konstruktion zurückspiegeln. Das ist für ihn ein echter Mehrwert.“ Durch die Anwendung der künstlichen Intelligenz könne der Kunde bereits im Stadium der Konstruktion mit dem Unternehmen klären, wie die Erstellung der erforderlichen Teile wirtschaftlich abgewickelt werden kann und ob die Ausführung mit dem Maschinenpark der Firma überhaupt möglich sein wird. „So haben wir die Möglichkeit, schon früh auf die Wünsche des Kunden einzugehen und unsere Herstellungsprozesse seinen Anforderungen entsprechend anzupassen.“
Wichtiges Innovationsnetzwerk
Daniel Trutwin macht deutlich, wie wichtig ein Unternehmensnetzwerk ist, wenn man solche Abläufe erfolgreich implementieren will. „Für mich war das Arbeiten in Netzwerken schon immer von besonderer Bedeutung. Deshalb habe ich vor 20 Jahren damit angefangen, die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Unternehmen zu pflegen.“ Dieser Zusammenschluss nennt sich „Netvert-Verbund“ und ist ein Zusammenschluss selbstständiger Gesellschaften. Der Begriff setzt sich, so Trutwin, zusammen aus dem englischen „network“ und dem lateinischen Verb „vertere“. „Das trifft genau die Aktivitäten des Verbundes und beschreibt die Kernaufgabe, eine positive Wertschöpfung durch die Nutzung von Synergieeffekten zu kreieren“, ergänzt Trutwin. „Wir haben viele kleine Perlen, die jede für sich schon schön sind, die aber durch die Zusammenarbeit im Netzwerk ihren be- sonderen Glanz erhalten.“
Als Unternehmen sei man, erst recht in der heutigen Zeit, gezwungen, einen permanenten Veränderungsweg zu gehen. Dazu gehöre selbstverständlich der Einsatz künstlicher Intelligenz. „Es muss uns, auch im BKU, gelingen, die alte analoge Welt mit der neuen digitalen zu verknüpfen. Dazu gehört, dass wir nicht nur gemeinsame Werte teilen, sondern auf der operativen Ebene neue Wege der Zusammenarbeit finden.“ Deshalb freut sich Daniel Trutwin über das Projekt mit dem Team von Margot Ruschitzka. Es zeige, dass erfolgreiche Entwicklungsarbeit dann gut funktioniere, wenn es gelinge, über das eigene Unternehmen oder den eigenen Verbund hinaus zu denken und Partner aus verschiedenen Bereichen mit einzubinden. Der BKU biete für solche Formen der Zusammenarbeit eine ausgezeichnete Basis.
Alle Partner sind bislang sehr zufrieden mit dem Verlauf der Projektentwicklung. „Wir befeuern das System derzeit mit vielen Herausforderungen und lassen es parallel zu dem herkömmlichen Prozess laufen, um die Ergebnisse verifizieren zu können“, berichtet Bogoczek. Danach wird es darum gehen, die für die Prozesse erforderliche Rechnerkapazität darzustellen. Er ist aber überzeugt davon, dass mit weiterer Entwicklungsarbeit ein voll integratives System entstehen wird.
Mitarbeiter mitnehmen
Wichtig ist es Daniel Trutwin und Markus Bogoczek, die Mitarbei- terinnen und Mitarbeiter bei diesen Entwicklungen mitzunehmen. „Wenn sie die Vorteile für ihre Arbeitsabläufe erkennen, nehmen sie neue Systeme gerne an“, wissen beide und freuen sich, dass das in diesem Projekt gut funktioniert. Sie sehen große Möglichkeiten für die Unternehmen durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Zukunft. Dabei dürfe allerdings nie der Mensch aus dem Blickpunkt geraten. „Der Mensch darf in dem Unternehmen nie als Erweiterung der KI gesehen werden, sondern muss Person in unserem sozialen Umfeld bleiben“, betont Bogoczek.
„Die Experten in den Unternehmen werden durch die künstliche Intelligenz nicht ersetzt, sie werden unterstützt“, betont auch Margot Ruschitzka. „Für die Unternehmen bringen solche Prozesse den Vorteil, dass keine Zeiten mehr entstehen, in denen Maschinen unnötig stillstehen.“ Verzögerungen im Produktionsablauf, die schnell zu Auslastungsbremsen für einen Maschinenpark werden könnten, würden vermieden. Die Anforderungen an die Produktion werden regelmäßig von Ingenieurbüros oder „Die Experten in den Unternehmen werden durch die künstliche Intelligenz nicht ersetzt, sie werden unterstützt“, betont auch Margot Ruschitzka. „Für die Unternehmen bringen solche Prozesse den Vorteil, dass keine Zeiten mehr entstehen, in denen Maschinen unnötig stillstehen.“ Verzögerungen im Produktionsablauf, die schnell zu Auslastungsbremsen für einen Maschinenpark werden könnten, würden vermieden. Die Anforderungen an die Produktion werden regelmäßig von Ingenieurbüros oder Ingenieurabteilungen in großen Betrieben definiert. Um sicherzustellen, wie man den Ansprüchen von der Kundenseite in dem System gerecht werden kann, haben die Beteiligten ein weiteres Unternehmen mit in den Entwicklungsprozess einbezogen. So hat man mit der RSC Engineering GmbH einen Experten der Simulationstechnik für das schöpferische Projektteam gewinnen können. „Damit haben wir die komplette Kette in das Projekt integriert, von der Idee bis zum fertigen Produkt“, resümiert die Professorin.
Auch Tim Richter, Geschäftsführer der RSC Engineering GmbH, ist von der Innovation begeistert: „Die Idee, eine virtuelle Umgebung zu entwickeln, in welcher der Kunde eine bereits vorab geprüfte individuelle Lösung nach seinen Wunschvorstellungen bereitstellen kann, ist aufgrund der implementierten künstlichen Intelligenz neuartig. So ermöglichen wir eine zielgerichtete Kontrolle der Konstruktionen einhergehend mit der Qualitätssicherung ohne den sonst üblichen hohen Einsatz von Mitarbeiterressourcen.“
Auch die Herangehensweise der Wissenschaft an solche Projekte hat sich mit der fortschreitenden Digitalisierung geändert.
„Früher haben wir für die Unternehmen Bibliotheken angelegt, dort wurden die Regeln für bestimmte Produktionsprozesse festgelegt, damit bestehendes Wissen gesichert war und das ad nicht immer wieder neu erfunden werden musste“, erklärt Ruschitzka. Im Bereich des Engineerings nehme das jetzt ganz andere Formen an. Neben den bisherigen Parametern werde heute zusätzlich die Information hinterlegt, was an Elektrik, Elektronik und Softwaretools für eine Prozessabwicklung erforderlich sei. „All diese Elemente müssen dann in der Produktion zum passenden Zeitpunkt zur Verfügung stehen, sodass ich sie nur noch miteinander verknüpfen muss, damit ein intelligentes Produkt entstehen kann“, ergänzt die Professorin. Das zu schaffen, erfordere eine Vielfalt an KI-Unterstützung und an dieser Stelle sei auch noch jede Menge zu tun. Das digitale Wissen, das auf den unterschiedlichen Ebenen vorhanden sei, müsse so verknüpft werden, dass die Prozesse am Ende optimal laufen können. Insbesondere benötige man eine Harmonisierung der Schnittstellen in den einzelnen Disziplinen. Wichtig ist auch ihr, zu betonen, dass bei den Anwendungen künstlicher Intelligenz die menschliche Komponente nicht zu kurz kommen dürfe. „Da gibt es jede Menge auch an ethischen Fragen, die sich in dem Zusammenhang stellen, und die wir in die Prozesse integrieren müssen“, macht Margot Ruschitzka deutlich.
Wie weit ist eigentlich ein junger Wissenschaftler wie Alexander Nüßgen besorgt, dass die künstliche Intelligenz am Ende die menschliche überflüssig macht? Er sieht die Entwicklung ganz gelassen. „Es muss immer Menschen geben, die der künstlichen Intelligenz zeigen, was sie machen soll, wie sie es machen soll und wie dies am schnellsten gelingen kann. Ohne diese entscheidenden Elemente entfällt jede Art von Intelligenz“, erklärt Nüßgen. Und die Anforderungen an die menschliche Mitwirkung werden nicht geringer, sondern eher mehr, weil die Prozesse natürlich komplexer werden. Im Zentrum stehe die Aufgabe, wie man die Möglichkeiten der KI für unterschiedliche Anwender nutzbar machen könne. Das sei und bleibe eine Aufgabe der Wissenschaft. Darüber hinaus müsse bei den immer zunehmenden Mengen an Daten darauf geschaut werden, welche davon notwendig seien und welche überflüssig. Auch das sei eine Aufgabe, die die künstliche Intelligenz nicht von sich aus leisten könne. Margot Ruschitzka sieht das ebenso: „Wir machen eigentlich immer wieder die Beobachtung, dass wir die erste Forschungsfrage formulieren, um dann zehn weitere zu stellen. Das zeigt, dass das Feld weit und die Aufgaben vielfältig sind.“